Der BGH hat sich in seiner Entscheidung vom 02.10.2024, Az. 1 StR 156/24 mit der Frage beschäftigt, wann die Tatbestandsvoraussetzungen eines Betrugs bei Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen durch Vortäuschen der Leistungserbringung „in freier Praxis“ vorliegen.
Dabei hat der BGH festgestellt, dass von einer Täuschung i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB bei der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen immer dann auszugehen ist, wenn der Arzt nach dem maßgeblichen Kassenarztrecht nicht berechtigt war, seine tatsächlich erbrachten und an sich abrechnungsfähigen Leistungen gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung abzurechnen und in der Abgabe einer Sammelerklärung nach dem Empfängerhorizont die Erklärung liegt, die rechtlichen Abrechnungsvoraussetzungen lägen vor. Dazu gehöre insbesondere die Zulassung als Vertragsarzt, so der BGH.
Für die Prüfung der Frage, ob der Arzt die abgerechneten Leistungen im Sinne von § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV „in freier Praxis“ erbrachte, seien die geltenden sozialrechtlichen Maßstäbe zu beachten. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts normativ in Abgrenzung zur ärztlichen Tätigkeit im Angestelltenverhältnis (§ 32b Ärzte-ZV) zu bestimmen. Eine Tätigkeit in „freier Praxis“ setze demnach zum einen eine wirtschaftliche Komponente – die Tragung des wirtschaftlichen Risikos wie auch eine Beteiligung an den wirtschaftlichen Erfolgen der Praxis – und zum anderen eine ausreichende Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht voraus. Das wirtschaftliche Risiko trägt der Arzt demnach nur dann, wenn ihn Chancen und das Risiko des beruflichen Erfolges oder Misserfolges persönlich treffen. Kennzeichnend für berufliche und persönliche Handlungsfreiheit sei, dass der Vertragsarzt sein Personal selbst auswählt, das Hilfspersonal seinem Direktionsrecht unterliegt und ihm die Praxis mit den dort vorhandenen medizinischen Geräten grundsätzlich jederzeit persönlich zur Verfügung steht. Die Eigentumsverhältnisse an den Praxisräumen und der Geräte- und Materialausstattung für die rechtliche Bewertung seien hierfür grundsätzlich unerheblich. Wesentlich sei vielmehr, dass der Arzt in der Praxis seine ärztliche Berufstätigkeit in voller eigener Verantwortung ausführen könne. Für die Bewertung all dieser Umstände, insbesondere das Maß an Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit, können zivilrechtliche Vereinbarungen, die der Arzt bezogen auf die Arztpraxis getroffen hat, Bedeutung haben. Dies gelte jedoch nur dann, wenn diese zivilrechtlichen Vereinbarungen rechtswirksam begründet worden sind.
Im vom BGH zu entscheidenden Fall hatte der Angeklagte einen Verein gegründet und sämtliche Honoraransprüche an die Präsidentin des Vereins abgetreten. Darüber hinaus sollte der Verein für alle in der Praxis des angeklagten Arztes anfallenden Einnahmen und Ausgaben verantwortlich sein und in alle bestehenden Rechte und Pflichten außerhalb der ärztlichen Tätigkeit eintreten. Der Angeklagte selbst sollte für seine ärztlichen Leistungen eine Aufwandsentschädigung von 900,00 EUR pro Monat erhalten. All dies wurde in einem „Geschäfts-Kooperationsvertrag“ zwischen dem medizinischen Labor des Angeklagten und dem Verein festgehalten. Ziel des Angeklagten war es allerdings, die Leitung der Praxis lediglich auf dem Papier an den Verein abzugeben. Er hatte von Anfang an vor, weiterhin alleine sowohl die medizinischen als auch nichtmedizinischen Entscheidungen der Praxis zu treffen und setzte dies auch entsprechend um.
Das Landgericht hatte den Angeklagten deshalb aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil es sich nicht von einer Täuschungshandlung gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung hatte überzeugen können. Der Arzt sei bei Erbringung der abgerechneten Leistungen nach sozialrechtlichen Gesichtspunkten als Vertragsarzt „in freier Praxis“ tätig gewesen; die von ihm geschaffene „Papierlage“ habe daran als bloße Scheingestaltung nichts geändert. Es fehle daher auch jeweils an einem entsprechenden Irrtum des Sachbearbeiters bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Die mit der Praxis erzielten Einnahmen waren maßgeblich von Art und Umfang der ärztlichen Leistungen abhängig, die der Angeklagte erbrachte. Aus ihnen wurden sämtliche Unkosten bestritten, die aus dem Praxisbetrieb resultierten. Zugleich standen sie dem ungehinderten Zugriff des Arztes zur Verfügung, der daraus seinen Lebensunterhalt bestritt. Die Chancen und Risiken des Laborbetriebs trafen mithin allein ihn und nicht – wie auf dem Papier vereinbart – den Verein.
Die Verurteilung des Arztes wegen Steuerhinterziehung blieb hiervon unberührt.