Zugunsten der Behandlerseite kommt einer ordnungsgemäßen, zeitnah erstellten Dokumentation in Papierform, die keinen Anhalt für Veränderungen, Verfälschungen oder Widersprüchlichkeiten bietet, im Rahmen der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung eine Indizwirkung zu. Dies hat der BGH in einer Leitsatzentscheidung vom 05.12.2023 (Az. VI ZR 108/21) entschieden.

In dem vom BGH zu entscheidendem Fall verklagten eine gesetzliche Kranken- und Pflegekasse die Beleghebamme, eine in einem Krankenhaus betriebene Frauenarztpraxis sowie unter anderem den behandelnden Assistenzarzt auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht des bei ihnen versicherten Neugeborenen wegen behaupteter Behandlungsfehler im Rahmen der Geburt. Das Kind leidet seit der Geburt an einer irreversiblen Hirnschädigung. Die Mutter des Kindes hatte sich am Tag der Geburt mit Wehen in der Klinik vorgestellt, woraufhin im Anschluss mehrfach per CTG die Herztöne des Kindes aufgezeichnet wurden. Die zuständige Beleghebamme reagierte – so der Assistenzarzt – auf ein hochpathologisches CTG nicht. Aus der Dokumentation der Hebamme ergab sich jedoch, dass sie um 19:10 Uhr den mitbeklagten Assistenzarzt über das pathologische CTG informiert habe. Dieser veranlasste um 20:15 Uhr eine Notsectio. In der Dokumentation des Assistenzarztes fand sich hingegen folgender Hinweis:

„Von der stationären Aufnahme der Patientin bis 19.36 Uhr war ich informiert: Um 16.20 Uhr Blasensprung und Muttermund bis auf 7 cm weit geöffnet. Keine Informationen über CTG. Um 19.36 Uhr wurde ich von Frau K. […] angerufen, der Muttermund ist vollständig, sonst keine anderen Informationen am Telefon.“

Das erstinstanzliche Gericht hatte der Klage gegen die Beleghebamme stattgegeben, die Klage gegen die Praxis und die behandelnden Ärzte jedoch abgewiesen. In zweiter Instanz wurden auch die Praxis sowie die Ärzte zu Schadensersatzzahlungen verurteilt. Der BGH hat mit Urteil vom 05.12.2023 das zweitinstanzliche Urteil aufgehoben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Eine Haftung der Ärzte könne mit der Begründung des Berufungsgerichts, wonach die Richtigkeit der Eintragung der Hebamme vermutet werde und die Ärzte für das Gegenteil die Beweislast trügen, nicht begründet werden.

Der BGH führt hierzu weiter aus, dass der Beweisgegner, im vorliegenden Fall der mitbeklagte Assistenzarzt, die inhaltliche Richtigkeit der Dokumentation nicht widerlegen müsse. Es genüge vielmehr, dass der Beweisgegner Umstände dartue, die bleibende Zweifel daran begründen, dass das Dokumentierte der Wahrheit entspreche. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn der Beweisgegner Umstände aufzeigt, die den Indizwert der Dokumentation in Frage stellen.

An diesem Indizwert der Dokumentation fehle es immer dann, wenn der Dokumentierende Umstände in der Patientenakte festgehalten habe, die sich zu Lasten des in Anspruch genommenen Mitbehandlers (hier dem Beweisgegner) auswirken und es nicht ausgeschlossen werden könne, dass dies im eigenen Interesse an einer Vermeidung oder Verringerung der eigenen Haftung erfolgt sei.

Nach Auffassung des BGH hatte das Berufungsgericht damit rechtsfehlerhaft eine Beweislastumkehr zugunsten der klagenden gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen angenommen. Das Berufungsgericht habe, so der BGH, zu Unrecht festgestellt, dass der Inhalt der Dokumentation zugunsten des Beweisführers als richtig zu unterstellen sei, soweit nicht der Beweisgegner das Gegenteil beweise. Eine solch weitgehende Wirkung komme der Behandlungsdokumentation jedoch nicht zu. Im Rahmen der Beweiswürdigung müssen damit sämtliche, vom Beweisgegner vorgebrachten Gesichtspunkte einbezogen werden, ohne dass dieser das Gegenteil beweisen muss.