Das OLG Bamberg hat sich in einem Teilurteil vom 08.04.2024 (Az.: 4 U 15/23 e) mit der Frage beschäftigt, inwieweit einer Patientin ein Auskunftsanspruch gegen den pharmazeutischen Unternehmer gem. § 84 a AMG zusteht und dabei wie folgt geurteilt:

  1. Die Darlegungs- und Beweislast für die fehlende Erforderlichkeit einer Auskunft nach § 84a Abs.1 AMG trifft den pharmazeutischen Unternehmer.
  2. Die arzneimittelrechtliche Zulassung eines Impfstoffs in Kenntnis eines bestimmten Risikos schließt einen Auskunftsanspruch nach § 84a Abs. 1 AMG nicht aus, wenn die Möglichkeit besteht, dass sich nach der Zulassungsentscheidung neue Erkenntnisse ergeben haben, die zu einer anderen Entscheidung Anlass gegeben hätten.
  3. Die geschuldete Auskunft umfasst nur die Informationen, die sich auf das im konkreten Einzelfall vorgebrachte Krankheitsbild – hier eine Thrombose mit Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) – beziehen und in einem Zusammenhang mit der Rechtsgutsverletzung stehen.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie Auskunft aufgrund einer Darmvenenthrombose mit Thrombozytopenie-Syndrom, die sie im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung der Beklagten gegen SARS-CoV-2 erlitten hat und welche sie auf diese Impfung zurückführt.

Die Klägerin erhielt am 10.03.2021 eine Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff der Beklagten. Nach der Impfung traten bei der Klägerin am 20.03.2021 Unwohlsein, Durchfall und Schmerzen im Unterbauch auf, die sich in der Folge verstärkten. Die Klägerin befand sich daraufhin vom 25.03.2021 bis 03.05.2021 in stationärer Behandlung, wo sodann eine Darmvenenthrombose mit Thrombozytopenie-Syndrom diagnostiziert wurde. Infolgedessen wurden der Klägerin im Zuge einer Dünndarmresektion mittels Thrombektomie über drei Meter Darm entfernt. Die Klägerin befand sich in der Folge für einige Tage im Koma und musste invasiv beatmet werden. Durch die Dünndarmresektion leidet die Klägerin an einem Dauerschaden.

Die Beklagte ist die Herstellerin des verabreichten Impfstoffs und brachte die Produktionscharge, aus der die Klägerin geimpft wurde, am 28.02.2021 in den Verkehr.

Am 29.01.2021 ließ die Europäische Kommission den Impfstoff EU-weit in allen Mitgliedstaaten für die Anwendung bei Erwachsenen ab 18 Jahren vorläufig zu. Nach einer Verlängerung der vorläufigen Zulassung am 09.11.2021 um ein Jahr erteilte die Europäische Kommission auf Empfehlung der EMA am 31.10.2022 die Standardzulassung.

Das Landgericht hatte die Klage mit Endurteil vom 03.01.2023 abgewiesen. Hiergegen richtet sich die noch anhängige Berufung der Klägerin.

Das OLG Bamberg hat nunmehr mit Teilurteil vom 08.04.2024 (Az.: 4 U 15/23 e) festgestellt, dass der seitens der Klägerin geltend gemachte Auskunftsanspruch nach § 84a Abs. 1 AMG besteht.

Nach § 84a Abs. 1 Satz 2 AMG kann der Geschädigte unter den Voraussetzungen des § 84a Abs. 1 Satz 1 AMG von dem pharmazeutischen Unternehmer Auskunft über die bekannten Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie die ihm bekannt gewordenen Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen und sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sind, verlangen. Die Vorschrift des § 84a AMG verfolgt dabei im Wesentlichen zwei Ziele:

Zum einen bezweckt sie die prozessuale Chancengleichheit, weil der Geschädigte in aller Regel den Weg des angewandten Arzneimittels von der ersten Forschung über die Erprobung bis zu dessen konkretem Herstellungsprozess nicht überschauen kann, während die pharmazeutischen Unternehmen – insbesondere zur Frage der Vertretbarkeit ihrer Arzneimittel – den jeweiligen Erkenntnisstand dokumentiert zur Verfügung haben.

Zum anderen soll der Auskunftsanspruch die beweisrechtliche Stellung des Geschädigten im Arzneimittelprozess stärken. Der Geschädigte soll in die Lage versetzt werden, alle Fakten zu erlangen, die für die von ihm darzulegenden und zu beweisenden Anspruchsvoraussetzungen notwendig sind oder die er braucht, um die Kausalitätsvermutung des § 84 Abs. 2 AMG in Gang zu setzen.

Im vorliegenden Fall lagen Tatsachen vor, die die Annahme begründeten, dass das Medikament der Beklagten bei der Klägerin einen Schaden verursacht hatte. Darüber hinaus konnte die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht ausreichend darlegen, dass ein Schadensersatzanspruch auch unabhängig von der verlangten Auskunft nicht bestehe oder nicht durchsetzbar sei. Die Auskunftserteilung ist nach Ausführungen des OLG Bamberg bereits dann erforderlich, wenn die Möglichkeit besteht, dass die begehrten Auskünfte der Feststellung eines Schadensersatzanspruchs dienen können. Andernfalls wären die vom Gesetzgeber mit dem Auskunftsanspruch verfolgten Ziele einer prozessualen Chancengleichheit und der beweisrechtlichen Besserstellung des Geschädigten für seinen auf § 84 AMG gestützten Schadensersatzanspruch nicht zu erreichen. Diese Erforderlichkeit der Auskunft kann insbesondere dann fehlen, wenn unabhängig von der Auskunft eine Haftung des pharmazeutischen Unternehmers nach § 84 AMG offensichtlich ausgeschlossen ist. Die Darlegungs- und Beweislast für die mangelnde Erforderlichkeit trifft dabei den pharmazeutischen Unternehmer. Dieser wurde die Beklagte nicht gerecht.

Auch die zwischenzeitlich erfolgte arzneimittelrechtliche Zulassung des Impfstoffs zu einem Zeitpunkt, als das Risiko eines TTS bereits bekannt war, schließe eine mögliche Haftung der Beklagten nicht aus, urteilte das OLG. Die Zulassungsentscheidung führe nicht zu einer dauerhaften Haftungsfreistellung. Vielmehr könne eine Haftung auch dann in Betracht kommen, wenn sich nach der Zulassungsentscheidung neue Erkenntnisse ergeben haben, die zu einer anderen Zulassungsentscheidung Anlass gegeben hätten. Dies könne dann der Fall sein, wenn nach der Zulassung bekannt werde, dass die schädlichen Wirkungen häufiger auftreten, gewichtiger seien oder in anderer Ausprägung auftreten, als bei der Zulassungsentscheidung angenommen.

Eine fehlende Erforderlichkeit ließ sich im vorliegenden Fall auch nicht bereits aus dem Umstand ableiten, dass die Auskunftsklage erst im Berufungsverfahren erhoben worden war. Das maßgebliche Kriterium für die Erforderlichkeit, so das OLG Bamberg, sei nicht die Möglichkeit, einen Schadensersatzanspruch zu beziffern, sondern die mögliche Verbesserung der Beweissituation. Eine solche ist auch in der zweiten Instanz, die eine Tatsacheninstanz ist, möglich.

Nach alldem kam das OLG Bamberg zu dem Ergebnis, dass die Beklagte der Klägerin Auskunft über die ihr bekannten Wirkungen und Nebenwirkungen sowie über Verdachtsfälle zu Nebenwirkungen und über sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Beurteilung der Vertretbarkeit von Bedeutung sein können schulde. Dabei sei jedoch der Umfang der geschuldeten Auskunft hinsichtlich der Nebenwirkungen auf die bei der Klägerin eingetretene Nebenwirkung „Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom“ (TTS) zu beschränken. Eine Auskunft über Kenntnisse zu Wechselwirkungen sei hingegen nicht geschuldet, da eine Haftung wegen Gesundheitsschädigungen durch eine Wechselwirkung des Impfstoffs der Beklagten mit einem anderen Arzneimittel bereits nicht behauptet wurde.