Das OLG München hat sich in seiner Entscheidung vom 25.01.2024 (Az. 24 U 2706/19) mit den Sorgfaltspflichten eines Anästhesisten bei Abfall der Sauerstoffsättigung unter Verwendung eines Beatmungsgeräts befasst.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die im Jahr 2000 geborene Klägerin hatte sich am 28.04.2007 einer Zahnbehandlung unterzogen, welche unter Narkose durchgeführt wurde. Ca. 15 Minuten nach Beginn der Zahnbehandlung kam es zu einem Abfall der Sauerstoffsättigung im Blut und infolge dessen zu einer bleibenden Hirnschädigung bei der Klägerin. Erst weitere 15 Minuten später traf der Rettungsdienst ein und trennte die Klägerin von dem während der Behandlung verwendeten Beatmungsgerät und schloss sie an das Gerät des Rettungsdiensts an, woraufhin sich die Situation umgehend stabilisierte und die Sauerstoffsättigung im Blut der Klägerin wieder anstieg.
Das in LG Augsburg (Az. 072 O 69/14) hatte in erster Instanz in dem Unterlassen der Trennung der Klägerin vom Beatmungsgerät nach Abfall der Sauerstoffsättigung im Blut einen kausalen Behandlungsfehler gesehen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist derzeit beim BGH anhängig.
Das OLG hat bestätigt, dass der Anästhesist eine Fehlfunktion des Beatmungsgeräts in Betracht ziehen muss, wenn dieses zwar eine Sauerstoffzufuhr von 100% anzeigt, die Patientin jedoch offensichtlich nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird und daher eine Zyanose auftritt. Es sei in einem solchen Fall erforderlich, die Patientin von dem Beatmungsgerät zu trennen. Dies habe, so das OLG, der Sachverständige in seinen Gutachten klargestellt.
Vor diesem Hintergrund bejahte der Senat trotz Ablehnung eines groben Behandlungsfehlers eine Haftung des Anästhesisten, da nachgewiesen sei, dass das Unterlassen der Trennung der Klägerin vom Narkosegerät für das Fortbestehen der Hypoxie kausal geworden sei. Der Senat ist davon überzeugt, dass es konkret möglich gewesen sei, dass der Klägerin durch das Beatmungsgerät ein hinsichtlich des Sauerstoffgehaltes insuffizientes Gasgemisch zugeführt worden sei. Zu diesem Ergebnis kam das OLG im Wege eines Ausschlussverfahrens, nachdem alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen worden waren und weitere Aufklärungsansätze für den eingetretenen Hirnschaden nicht vorhanden waren.
Darüber hinaus sei der Umstand, dass der Anästhesist nach der streitgegenständlichen Behandlung Handgriffe an dem Narkosegerät ausgeführt habe, die dazu geführt haben können, dass Hinweise auf eine Störung des Geräts beseitigt worden seien, unter dem Gesichtspunkt der Beweisvereitelung zu berücksichtigen. Zwar habe der Sachverständige in nachvollziehbarer Weise ausgeführt, „dass einzelne Handgriffe nicht zu vermeiden sind, wobei hier explizit auf das Abstellen des Sauerstofffluss[es] abgestellt wird, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Gasflaschen seien leer gewesen – weil diese in der Zwischenzeit leergelaufen sind“. Das Hantieren Anästhesisten sei jedoch weit darüber hinaus gegangen. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass er mehrmals den Zustand des Geräts veränderte, obwohl im klar sein musste, dass dieses womöglich aufgrund staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen untersucht werden würde.
Rechtsfolge einer solchen Beweisvereitelung sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast. Da den Anästhesisten infolge der am Gerät vorgenommenen Handgriffe eine (grob fahrlässige) Verschleierung der Beweislage vorzuwerfen war, hätten sie, um ihrer Schadensersatzpflicht zu entgehen, eine konkrete andere Ursache für die aufgetretene Hypoxie als die Zufuhr eines nicht hinreichend sauerstoffgesättigten Gasgemisches nachweisen müssen. Dies ist ihnen jedoch nicht gelungen.