Das LG Hamburg (Az: 416 HKO 64/23) hatte in einem Fall zu entscheiden, in dem die Verfügungsklägerin von der Verfügungsbeklagte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Unterlassung des Inverkehrbringens einer Software-Applikation verlangte. Mit Hilfe dieser Software konnte Patienten mit Hautleiden Hautfachärzten die für das Stellen einer Diagnose relevanten medizinischen Informationen zur Verfügung stellen.
Beide Parteien sind Anbieter solcher telemedizinischen Leistungen im Bereich der Dermatologie. Beide Parteien bieten jeweils eine Software an, mit deren Hilfe Patienten bestimmte Hautleiden ohne persönlichen Besuch in einer Arztpraxis durch Hautärzte untersuchen lassen können. Die Parteien vertreiben ihre Software jeweils ohne die Zertifizierung als Medizinprodukt der Klassen IIa, IIb oder III nach Anhang VIII, Regel 11 der Verordnung (EU) 2017/745.
Die Verfügungsbeklagte bietet im Google Play Store sowie im Apple App Store eine Softwareapplikation zum Download auf das Mobiltelefon an. Die Software ist zudem über die Website der Verfügungsbeklagten zugänglich. Die Funktionsweise der Software ist der Funktionsweise der von der Verfügungsklägerin vertriebenen Software vergleichbar. Die Patienten nehmen über die Software Kontakt zu von der Verfügungsbeklagten ausgewählten Hautärzten auf. Sie werden nach Konkretisierung des betreffenden Hautproblems aufgefordert, einen zu dem jeweiligen Hautproblem von Spezialisten entwickelten Anamnesebogen zu beantworten und mindestens drei aus unterschiedlichem Abstand und Blickwinkel gefertigte Fotos hochzuladen. Der Patient hat außerdem die Möglichkeit, über die abgefragten Informationen hinausgehende Angaben individuell einzugeben. Ferner besteht für den Arzt die Möglichkeit, bei weiterem Aufklärungsbedarf unmittelbar Kontakt zu dem betreffenden Patienten aufzunehmen und individuelle Rückfragen zu stellen oder zusätzliche Fotos von der betreffenden Hautstelle anzufordern. Die von den Patienten übermittelten Informationen und Fotos werden von einem Hautarzt geprüft. Dieser erstellt sodann auf dieser Grundlage eine Diagnose und formuliert gegebenenfalls einen Behandlungsvorschlag und stellt ein Rezept aus. Dieses Ergebnis teilt der Arzt dem Patienten zudem in Form eines elektronischen Arztbriefes mit.
Auf ihrer Website bezeichnet die Verfügungsbeklagte die von ihr angebotene Software als „CE-gekennzeichnetes Medizinprodukt nach MDR 2017/745 (mobile Anwendung)“.Mit anwaltlichem Schreiben mahnte die Verfügungsklägerin die Verfügungsbeklagte unter Hinweis darauf ab, dass die von der Verfügungsbeklagten vertriebene Softwareapplikation mangels Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Konformitätsbewertungsverfahrens nicht den für Medizinprodukte geltenden Vorschriften der MDR entspreche. Die Verfügungsbeklagte reagierte hierauf, indem sie die Beanstandungen zurückwies und die Abgabe der verlangten Unterlassungserklärung verweigerte.
Das LG wies den daraufhin gestellten Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück. Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin hat das OLG Hamburg mit Beschluss vom 22.09.2023 (Az. 3 W 30/23) der Verfügungsbeklagten bei Androhung näher bestimmter Ordnungsmittel untersagt, im geschäftlichen Verkehr die Softwareapplikation in den Verkehr zu bringen und/oder auf den Markt bereit stellen zu lassen, solange sie nicht als Medizinprodukt der Klasse IIa, IIb oder III nach Anhang VIII, Regel 11 Verordnung (EU) 2017/745 zertifiziert ist. Gegen diese einstweilige Verfügung hat die Verfügungsbeklagte Widerspruch eingelegt, woraufhin die Verfügungsklägerin beantragte, die einstweilige Verfügung des OLG Hamburg aufrecht zu erhalten.
Das LG Hamburg hob nun die einstweilige Verfügung des OLG Hamburg auf und wies den Antrag auf ihren Erlass zurück. Demnach sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zwar zulässig, jedoch unbegründet. Der Verfügungsklägerin stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu, weil es an der schlüssigen Darlegung einer unlauteren Wettbewerbshandlung im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 3a UWG fehle. Die Verfügungsklägerin habe nicht schlüssig dargelegt, dass die streitgegenständliche Software den Anforderungen der MDR widerspricht.
Medizinprodukte werden unter Berücksichtigung ihrer Zweckbestimmung und der damit verbundenen Risiken nach den Vorgaben in Anhang VIII MDR eingestuft. Für die hier im Streit stehende Softwareapplikation war auf Regel 11 des Anhangs VIII MDR abzustellen. Hiernach gehöre eine Software, die dazu bestimmt, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen, zur Klasse IIa. Diese Voraussetzungen seien aber vorliegend nicht erfüllt. Die Software-Applikation sei nicht dazu bestimmt, Informationen zu liefern, die zu Entscheidungen für die diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden.
Da die streitgegenständliche Software auf die ärztliche Entscheidung keinerlei Einfluss nimmt, die Diagnosestellung und Therapieempfehlung insbesondere nicht durch Einflussnahme auf die vom Patienten gelieferten Daten bzw. Informationen unterstützt oder etwa die gelieferten Daten mit medizinischen Wissensdatenbanken und Algorithmen abgleicht, sei, so das LG Hamburg, ihr Zweck allein darauf ausgerichtet, die Kommunikation und den Datentransfer zwischen Patient und Arzt, die sich nicht gemeinsam in der Arztpraxis, sondern an verschiedenen Orten aufhalten, zu gewährleisten.
Die Software sei daher nicht „Lieferant“ im Sinne der Regel 11 des Anhangs VIII MDR zu anzusehen. Dies sei vielmehr der jeweilige Patient. Die streitgegenständliche Applikation sei daher nicht als Medizinprodukt der Klasse IIa zu qualifizieren.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.