Der haftungsrechtliche Primärschaden besteht nicht nur in der Fortdauer des krankhaften Zustands, der Anlass für die inkriminierte Behandlung gegeben hat (hier: Gefäßenge infolge einer Vaskulitis), sondern umfasst auch die zeitlich folgende nächste organische Schädigung (hier: Untergang von Nervenzellen als Folge der Gefäßenge), so dass sich die Beweislastumkehr auch auf diesen Schaden erstreckt.

Der nach § 630 h Abs. 5 BGB der Behandlerseite obliegende Beweis mangelnder Ursächlichkeit ist erst dann geführt, wenn sich die Kausalität als allenfalls theoretischer Zusammenhang darstellt und nicht im Sinne einer realen Möglichkeit greifbar ist.

Dies hat das OLG Oldenburg in einer Entscheidung vom 07.02.2024 (Az. 5 U 33/22) festgestellt und hat damit die vorangehende Entscheidung des Landgerichts Osnabrück ausgehoben, die Einstandspflicht der Beklagten festgestellt und die Sache zur weiteren Verhandlung an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger erlitt im Alter von 5 Jahren einen Schlaganfall. Die Behandler der Beklagten gingen anfangs von einem epileptischen Anfall aus. Ein Wach-EEG, das kurz nach Aufnahme im Hause der Beklagten gegen 12:27 Uhr gefertigt wurde, zeigte indessen keine epilepsietypischen Potentiale. Gleichwohl wurde erst um 20:14 eine MRT-Untersuchung veranlasst, welche die Verdachtsdiagnose eines Mediainfarktes ergab. In der Zeit von 22:10 bis 23:30 untersuchte man den Kläger im Wege der Angiografie mittels Katheter im Klinikum. Diese Untersuchung erbrachte den Verdacht eines Infarktes infolge einer Vaskulititis. In der Folge wurde der Kläger dann in einem Universitätsklinikum behandelt. Als Dauerschäden des Infarktes sind bei ihm eine Hemiparese, ein Spasmus und eine Dystonie verblieben.

Die Parteien waren sich darüber einig, dass in der verspäteten Durchführung des MRT ein grober Behandlungsfehler zu sehen sei. Die Klage wurde in erster Instanz jedoch deshalb abgewiesen, weil das Landgericht das Fortbestehen des Schlaganfalls über mehrere Stunden als Primärschaden angesehen hatte. Diese Ansicht wurde durch das OLG nicht bestätigt. Der Senat des OLG entschied, dass vielmehr darauf abzustellen sei, wann die unterbliebene Behandlung eines krankhaften Zustandes zu einer weiteren Schädigung des Patienten, die über den unbehandelten Zustand hinausgeht, geführt habe. Würde man demgegenüber mit dem Landgericht nur die Perpetuierung des pathologischen ursprünglichen Zustands des Patienten als Primärschaden begreifen, wäre mit der Beweislastumkehr für den Patienten nichts gewonnen.

Der krankhafte Zustand des Klägers sei damit in einer Verengung der Hirngefäße infolge einer Vaskulitis zu sehen; die daraus folgende, zeitlich nächste organische Schädigung des Klägers (Primärschaden) sei im Untergang des Gewebes zu sehen, das infolge der Gefäßenge über eine längere Zeit unterversorgt geblieben war. Damit stelle sich die organische Schädigung des Hirns als Primärschaden dar, dessen typische Folge jene Einschränkungen seien, die den Gegenstand der Klage bildeten. Es wäre damit Aufgabe der Beklagten gewesen, den Beweis der mangelnden Ursächlichkeit zu führen. Dies gelang ihr nicht.